Titel
Im Dienste der Macht: Kultur und Sprache am Hof der Hohenzollern. Vom Großen Kurfürsten bis zu Wilhelm II


Autor(en)
Wittenauer, Volker
Erschienen
Paderborn 2007: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
338 S.
Preis
€ 38,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Martin Kohlrausch, Deutsches Historisches Institut Warschau

Der Titel von Volker Wittenauers Studie, einer für den Druck überarbeiteten Dissertation, klingt zunächst etwas randständig. Der Blick in das Inhaltsverzeichnis verstärkt diesen Eindruck noch, denn es geht kaum – wie der Titel suggeriert – allgemein um Kultur am Hohenzollernhof, sondern tatsächlich um Sprache im engeren Sinne. Dies muss allerdings kein Nachteil sein und die Einleitung liefert hierfür einige Belege. Der Fokus auf einer Dynastie liefert die Chance einer „longue durée“-Betrachtung auf Grundlage einer sehr dichten Quellenüberlieferung. Die Spezifika der Monarchie bringen es mit sich, dass Unterrichtsformen und -methoden ebenso wie briefliche Äußerungen auch der sehr jungen Prinzen detailliert rekonstruierbar sind. Hinzu kommt die, ganz schlicht gesprochen, ‚realgeschichtliche’ Relevanz der Dynastie, die sich selbstverständlich auch sinnvoll in ihren sprachlichen Manifestationen untersuchen lässt.

Wittenauers Arbeit ist am Schnittpunkt von Sprach- und Geschichtswissenschaft angesiedelt. Ihm geht es um „dynastisches Sprachbewusstsein“ der Hohenzollernherrscher, das Denken des Herrschers in dynastischen Kategorien wie es sich in der Sprache – reflektiert und unreflektiert – ausdrückt. Der Ansatz ist dabei stärker personenzentriert als bei dem Thema zwingend wäre und in dieser Entschiedenheit nachvollziehbar ist: „Hinter allen historischen Entwicklungen und Strukturen stand immer der jeweilige Hohenzollernherrscher, der mit seinem Wirken politische, gesellschaftliche und kulturelle Entwicklungen wesentlich bestimmte“, heißt es programmatisch im ersten Absatz (S. 13).

Zunächst versucht Wittenauer sein Thema im Hinblick auf die Rolle der deutschen Sprache in der deutschen Nationalstaatsbildung und den Kulturtransfer zwischen Frankreich und Deutschland zu kontextualisieren. Wichtig ist hier vor allem der Hinweis, dass die Verwendung des Französischen an den deutschen Höfen auch als Ausdruck einer „modernen Souveränitätsauffassung“ (S. 46) und Emanzipationsbestrebungen vom Reich gesehen werden muss. Andererseits begann im 18. Jahrhundert die nationale Aufladung von Sprache mit der daraus folgenden potentiellen Sprengkraft für die Dynastien.

Es folgen vier Einzeluntersuchungen zu – aus unterschiedlichen Gründen – als besonders aussagekräftig erkannte Herrschergestalten: dem Großen Kurfürsten, Friedrich II., Friedrich Wilhelm IV. und schließlich Wilhelm II. Die Auswahl ist an sich überzeugend, wenn auch gute Gründe dafür gesprochen hätten, die Reihe um Friedrich I. als erstem ‚Hohenzollernkönig’ zu ergänzen. Immerhin geht es um „dynastisches Sprachbewusstsein“.

Zum Großen Kurfürst arbeitet Wittenauer zwei Spezifika heraus: Zunächst die vom König geförderte Immigration der Hugenotten mit naheliegenden Auswirkungen für den Aufstieg des Französischen am Hof – eine Entwicklung, die freilich komplexere Ursachen hatte (siehe oben). Außerdem wird das ausgeprägte „Sprachbewusstsein“ Friedrich Wilhelms betont, das generell „pragmatisch“ und an dynastischen Interessen ausgerichtet gewesen sei, sich aber auch in der Mitgliedschaft in der ‚Fruchtbringenden Gesellschaft’ und in vielfältigen Versuchen, in der Amtssprache einen einfachen und klaren Stil durchzusetzen, äußerte.

Das zweite Beispiel, Friedrich II., ist das bekannteste, und sowohl Erzählung wie Ergebnisse enthalten wenig Neues. Wittenauer referiert noch einmal ausführlich den Konflikt zwischen Kronprinz und König, der auch entlang der Linie Französisch versus Deutsch verlief. Für Friedrich II. bot Französisch – neben vielen anderen Vorzügen – den Schlüssel zu europaweitem Ruhm. In der ebenfalls wohlbekannten engen Beziehung des Königs zu Voltaire fand die Suche nach dem Rendezvous mit dem Ruhm auch einen sprachlichen Ausdruck. Die Kehrseite war die Ignoranz Friedrichs II. gegenüber der jüngeren Entwicklung der deutschen Sprache und folgerichtig auch Literatur. Immerhin bemühte sich auch Friedrich II. in auffälligem Maße um eine Vereinfachung der Verwaltungssprache. Dies legt es nahe, hier und auch für den vorangehenden Fall viel stärker nach Spezifika der preußischen Verwaltungstradition zu fragen, die sich auch sprachlich äußerten.

Friedrich Wilhelm IV., das dritte Beispiel, ist nicht nur wegen des bekannten engen Kontakts des Königs zur romantischen Literatur interessant, sondern vor allem, weil hier der erste „Volksredner auf dem Thron“ auftrat. Wittenauer erläutert überzeugend die Gründe in der Erziehung des Königs, in der die deutsche Sprache gegenüber dem Französischen nun dominierte und die freie Rede eingeübt wurde. Von den Zeitgenossen wurde der durchaus eloquent redende König als Novum wahrgenommen, sichtbar bereits in den positiven Reaktionen auf die Huldigungsrede von 1840. Sowohl die emotionale Sprache spielte hier eine Rolle wie auch die romantische Vorstellung eines direkten Verhältnisses zwischen Herrscher und Volk.

Aufschlussreich wäre es gewesen, stärker auf strukturelle Gründe einzugehen, etwa die Vorgaben der französischen Revolution, aber auch der entstehenden Mediengesellschaft. Dafür, dass es sich nicht um eine zufällige ‚Innovation’ handelte, spricht, dass nach einem ‚Redemoratorium’ Wilhelms I. Wilhelm II. die Vorgabe seines Onkels wieder aufnahm und ins Extreme steigerte. Wittenauer weist auf die ‚Mitschuld’ Georg Hinzpeters, des Erziehers des Kronprinzen, hin, der die öffentliche Rede in den Lehrplan integrierte. Ansonsten wird zitatenreich noch einmal das bekannte Bild eines begabten, aber grandios scheiternden Redners entworfen. Wilhelm II. fehlte jegliches Gefühl für die Reichweite seiner Reden. Aber auch hier gilt wieder, und damit ist der wesentliche Mangel der Studie angesprochen, dass eine strukturelle Betrachtung und Kontextualisierung fehlt. Das Problem des Redners Wilhelm II. – weit mehr noch, als dies bei Friedrich Wilhelm IV. der Fall war – war ja gerade, dass er niemals die Dynamik der Massenmedien und die von diesen bedienten unterschiedlichen Öffentlichkeiten reflektierte, die aber eben teilweise überhaupt erst ein Produkt des ausgehenden 19. Jahrhunderts waren.

Insgesamt bleibt die Untersuchung zu sehr sprachimmanent, ohne sich in ihrem Deutungsanspruch auf die Sprache zu beschränken. Dass Wilhelm II. regelmäßig Stilblüten produzierte, Friedrich II. erhebliche Probleme mit der deutschen Grammatik hatte und die Hohenzollernkönige in einem aus heutiger Sicht merkwürdigen Gemisch aus Französisch, Deutsch und Latein kommunizierten, ist als Erkenntnis weder neu, noch aus Sicht des Historikers besonders weiterführend. Abgesehen davon treffen unterschiedlichste Kategorien der Analyse und Bewertung aufeinander, die in der Zusammenschau kaum Erkenntnisgewinn ermöglichen. Auffällig ist zudem eine mangelnde Quellenkritik. Herrscheräußerungen werden allzu schnell zum Nennwert genommen, die für sich betrachtet interessante politische Motivation dahinter aber sehr selten herausgearbeitet.

Das Potential einer systematischen Dynastiegeschichte über den Zeitraum von 300 Jahren wird daher nicht ausgeschöpft. Wesentliche Probleme, die eine Vertiefung ohne Zweifel verdient gehabt hätten, scheinen eher zufällig immer wieder auf. Dies betrifft – neben dem Ort des Monarchen in der entstehenden Mediengesellschaft – etwa die dynastische Selbstverortung, mit dem teilweise selbstverpflichtenden Bezug auf bestimmte Vorgänger und den Anspruch der auch sprachlichen Prägung des Nachfolgers. Hierzu gehören aber auch Verbindungen zu anderen europäischen Höfen und Vorgaben, die hieraus resultierten und sich kaum umgehen ließen, ebenso wie das von komplexen Wechselbeziehungen geprägte und in der Sprache gut nachvollziehbare Verhältnis des jeweiligen Monarchen zur Religion.